Neurodivergenz verstehen – Warum typische Strategien scheitern & was wirklich hilft

Mar 13

Das Gefühl, immer wieder an Grenzen zu stossen

Anna schaut zu ihrem achtjährigen Sohn Ben, der frustriert seinen Bleistift auf den Tisch wirft. „Ich kann das nicht! Ich bin einfach zu dumm!“ Seine Augen füllen sich mit Tränen.

Sie hat alles versucht: einen ruhigen Arbeitsplatz, klare Strukturen, kleine Belohnungen für Fortschritte. Trotzdem bleibt Ben schnell abgelenkt, verliert den Faden oder gerät in Wut. Warum funktionieren die üblichen Strategien nicht?

Anna ist nicht allein mit dieser Frage. Viele Eltern, Lehrkräfte und Betreuungspersonen erleben Ähnliches. Kinder wie Ben nehmen die Welt anders wahr, haben besondere Stärken – aber auch Herausforderungen, die herkömmliche Methoden nicht immer auffangen.

Doch warum ist das so? Und was hilft wirklich?

Warum typische Strategien bei ADHS & Autismus oft nicht ausreichen

Viele Erziehungskonzepte und Lehrmethoden basieren auf den Bedürfnissen neurotypischer Kinder. Sie funktionieren für Kinder, die Reize „normal“ verarbeiten, sich leicht konzentrieren können und soziale Situationen intuitiv erfassen.

Doch für neurodivergente Kinder – sei es mit ADHS oder einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) – greifen diese Methoden nicht.

🔹 Strukturierte Tagesabläufe helfen – aber nicht immer: Manche neurodivergente Kinder brauchen klare Routinen, andere fühlen sich dadurch eingeengt und reagieren mit Widerstand.
🔹 Belohnungssysteme sind oft wirkungslos: Ein Kind mit ADHS kann sich nicht einfach „zusammenreissen“, weil sein Gehirn Dopamin anders verarbeitet – die übliche „Belohnung“ wirkt daher nicht wie erwartet.
🔹 „Mehr Disziplin“ ist keine Lösung: Neurodivergente Kinder verhalten sich nicht absichtlich „herausfordernd“. Ihr Gehirn funktioniert anders – ein biologischer Fakt, den mehr Druck nicht ändern kann.

Doch das Problem geht noch tiefer. Kinder wie Ben entwickeln früh das Gefühl, dass mit ihnen „etwas nicht stimmt“. Sie sehen, dass ihre MitschülerInnen Aufgaben scheinbar mühelos erledigen, während sie selbst kämpfen. Ihr Selbstbewusstsein leidet – oft mit langfristigen Folgen.

Warum ein Umdenken notwendig ist

Viele Eltern und Lehrkräfte versuchen, neurodivergente Kinder mit denselben Methoden zu fördern, die bei neurotypischen Kindern funktionieren. Doch oft scheitern diese Ansätze – nicht, weil die Kinder „nicht wollen“, sondern weil ihre Denkprozesse anders ablaufen.


Eine aktuelle Studie von Miranda-Ojeda et al. (2025) zeigt, dass neurodivergente Menschen nicht primär „defizitär“ sind, sondern dass ihre neurologische Vielfalt eine natürliche und wertvolle Variation darstellt.


💡 Drei Erkenntnisse aus der Forschung, die viel verändern können:


1️⃣ Neurodiversität ist keine Krankheit. Statt neurodivergente Zustände wie ADHS oder Autismus als „Störung“ zu betrachten, schlägt das Neurodiversitäts-Modell vor, sie als natürliche Varianten der menschlichen Kognition zu akzeptieren. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf Therapie, Bildung und Gesellschaft.


2️⃣ Fehlende Anpassungen führen zu Überforderung. Viele neurodivergente Menschen zeigen Maskierungsverhalten („Camouflaging“), um in neurotypischen Umfeldern nicht aufzufallen. Dies kostet enorme mentale Energie und kann langfristig zu Stress, Angst oder Burnout führen.


3️⃣ Individuelle Lösungen sind der Schlüssel. Die Forschung betont, dass neurodivergente Kinder keine „striktere Erziehung“, sondern anpassungsfähige Lernumgebungen brauchen. Strukturelle Flexibilität, sensorische Anpassungen und ein besseres Verständnis für ihre Denkweise machen den Unterschied.


Was bedeutet das für Eltern, Lehrkräfte und Betreuungspersonen?

Statt zu erwarten, dass sich neurodivergente Kinder anpassen, sollten wir die Umgebung an ihre Bedürfnisse anpassen. Durch ein besseres Verständnis ihrer Stärken und Herausforderungen lassen sich Lern- und Erziehungsstrategien entwickeln, die stärken und fördern.

Wissenschaftlich fundierte Strategien für den Alltag

Die Studie von Fidosieva (2024) identifiziert Kernstrategien, die den Alltag für neurodivergente Kinder erleichtern:


✅ Strukturierte, aber flexible Klassenzimmer: Ein vorhersehbarer Tagesablauf kann helfen, während zu starre Strukturen vermieden werden müssen.

✅ Visuelle Unterstützung: Grafiken, Zeitpläne und Checklisten helfen Schülern mit ADHS, ihre Aufgaben besser zu organisieren.

✅ Interaktive und aktive Lernmethoden: Bewegungsbasierte Lerntechniken oder kurze Pausen verbessern die Konzentration.

✅ Unterstützung durch Gemeinschaft: Eltern, Lehrkräfte und Therapeuten sollten eng zusammenarbeiten, um ein starkes Unterstützungssystem zu schaffen.


Wir bieten verschiedene Angebote für Eltern, Betreuungspersonen, Lehrpersonen und Fachkräfte an, die Jugendliche wirksam unterstützen wollen.

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